Internationaler Eishockeyverband

Als die WM auf Reise war

Als die WM auf Reise war

1930 begann in Chamonix, endete in Berlin

Publiziert 11.05.2017 10:01 GMT+2 | Autor Martin Merk
Als die WM auf Reise war
Kanada, vertreten durch die Mannschaft Toronto CCM, gewann das Finalspiel gegen Deutschland im Berliner Sportpalast. Foto: Archiv Birger Nordmark
Deutschland und Frankreich spannen für die 2017 IIHF Eishockey-Weltmeisterschaft zusammen. In 1930 sorgten andere Umstände für eine Co-Gastgeberschaft.

Während die 2017 IIHF Eishockey-WM die erste aus einer gemeinsamen Bewerbung ist, und 2012 und 2013 Finnland und Schweden kooperierten, fand erstmals 1930 eine WM in mehreren Ländern statt – und es war die erste WM überhaupt außerhalb von Olympischen Winterspielen.

Anlässlich des Kongresses im Jahr 1929 entschieden die IIHF-Mitgliederländer, dass die erste separate WM organisiert werden soll, und zwar in Chamonix. Die Europäer wollten nicht bloß alle vier Jahre gegen Kanada spielen. Mit der Einladung an Japan als erste asiatische Nation bei einem IIHF-Turnier wurde es wirklich global. 12 der damals 18 Mitgliederländer reisten schließlich zur WM.

Allerdings fanden die Spiele letztlich nicht nur in Chamonix in den französischen Alpen statt, sondern auch in der österreichischen Hauptstadt Wien und der deutschen Hauptstadt Berlin. Dies war ursprünglich aber nicht so geplant gewesen.

Am 27. Januar 1930 hätte der Anlass im offenen Eisstadion von Chamonix losgehen sollen, doch außergewöhnlich mildes Wetter mit bis zu +9°C brachten das Eis zum Schmelzen. Die ersten Spiele konnten erst vier Tage später stattfinden, als der Frost zurückkam.

Die Bedingungen der Natureisbahn waren schlicht zu schlecht und die Eisqualität zu riskant um zu spielen. Wenige Fans wussten, was in Chamonix los war in einer Zeit ohne Internet und soziale Medien auf dem Mobiltelefon. Journalisten aus Deutschland reklamierten, dass sie drei Stunden benötigten für eine Telefonverbindung nach Frankfurt.

Die LIHG, wie die IIHF damals hieß, plante das Turnier ins Schweizer Bergdorf Davos zu verschieben. Am 30. Januar sprachen sich die Teams mit 6:5-Stimmen dafür aus. Doch während die Busse nicht pünktlich ankamen, machte der Frost die Natureisbahn spielfähig.

Nachdem Spieltage verloren gingen, mussten die Organisatoren improvisieren. Es fand keine Vorrunde statt. Die europäischen Teams machten in Playoffs den Europameister aus, der dann gegen Kanada um den WM-Titel spielen soll.

Am 31. Januar ging es mit der ersten Runde los. Frankreich (4:1 gegen Belgien), Deutschland (4:2 gegen Großbritannien) und Ungarn (2:0 gegen Italien) gewannen ihre Spiele, während für die anderen drei Mannschaften die WM nach nur einem Spiel zu Ende war.

Das Turnier ging am nächsten Tag weiter mit fünf Mannschaften, die in der zweiten Runde hinzustießen. Es war quasi ein Viertelfinale – abzüglich Kanada. Neben den europäischen Teams war Japan dabei, das gerade zuvor IIHF-Mitglied wurde. Mit ihrer Auswahl an Medizinstudenten spielten Mannschaften aus drei Kontinenten um die Weltmeisterschaft.

Deutschland (4:1 gegen Ungarn), Polen (5:0 gegen Japan), Österreich (2:1 gegen Frankreich) und die Schweiz (3:1 gegen die Tschechoslowakei) qualifizierten sich am 1. Februar für die nächste Runde auf einer Eisfläche, deren Löcher die Organisatoren versuchten mit Schnee zu füllen. Für den Gastgeber Frankreich war das Turnier zu Ende. Vor 1200 Zuschauern erzielte Hans Trauttenberg den Siegestreffer für Österreich.

Erneut ging es tags darauf ohne Pause weiter. Deutschland bezwang Polen 3:1 dank zwei Toren von Gustav Jaenecke und die Schweiz setzte sich gegen Österreich 2:1 durch dank Albert Gerominis Siegestreffer um ein deutsch-schweizerisches Finale um den Europatitel aufzusetzen, während Österreich und Polen ein Klassierungsspiel bevorstand.

Doch aller Improvisationskunst zum Trotz konnten in Chamonix nicht mehr gespielt werden, als das Tauwetter zurückkehrte. Es wurde entschieden anderswo weiterzumachen.

Österreich und Polen fuhren nach Wien um für den dritten Platz in Europa (und den vierten Platz weltweit) zu spielen drei Tage nach dem Halbfinal-Aus. Die Österreicher nutzten ihren Heimvorteil und siegten 2:0.

Eine Woche nach dem Halbfinale, am 9. Februar, spielten Deutschland und die Schweiz im Berliner Sportpalast auf Kunsteis um den Europatitel. Es waren über 1100 Kilometer zu fahren im Vergleich zu den 400 Kilometern Luftlinie, welche einige Teams für die Finalrunde zwischen Köln und Paris zurücklegen werden.

Geromini eröffnete das Toreschießen für die Schweiz, doch im zweiten Drittel glich Jaenecke aus und Erich Römer erzielte im Schlussdrittel den Siegestreffer für Deutschland.

Einen Tag später war es Zeit für den kanadischen Vertreter Toronto CCM um ihre Europatour mit dem Spiel um WM-Gold gegen Deutschland zu beenden.

Das Spielformat mag sich nach heutigen Standards merkwürdig anhören, doch war es das erste Mal, dass ein Eishockey-Weltmeister außerhalb der Olympischen Winterspielen bestimmt wurde. Vor der WM 1930 gab es nur drei Weltmeister aus Olympia 1920, 1924 und 1928 zusätzlich zu den seit 1910 ausgetragenen Europameisterschaften. In Antwerpen, Chamonix und St. Moritz gewann jedes Mal Kanada Gold.

Kanada kam jedoch nach Wien mit der ersten Niederlage überhaupt gegen ein europäisches Team als man in Wien ein Freundschaftsspiel gegen Österreich 1:0 verlor.

Zu Beginn schaute es auch in Berlin nicht gut aus für die Kanadier. Der Eissport, die amtliche Zeitschrift mehrerer Eissportverbände Deutschlands, berichtete über den Spielbeginn: „In ganz großem Stile begannen die Deutschen den Wettkampf, und schon nach knapp einer Minute hatte [Rudi] Ball die ihm von Jaenecke mustergültig zugespielte Scheibe mit scharfem Schuss ins canadische Tor gesetzt.“

Die rund 8000 enthusiastischen Fans in der gut gefüllten Arena feierten das Tor lautstark. Doch die Kanadier gaben ihre Antwort, das Spiel wurde härter. Alexander Park traf Jaenecke, der zuvor neun Tore im Turnier erzielt hatte. Deutschlands bester Spieler fiel unglücklich aufs Eis und kam nicht mehr zurück.

Kanada wendete das Spiel und führte nach einem Drittel 2:1 auf dem Weg zum 6:1-Sieg. Gordon Grant und Park trafen jeweils doppelt, Howard Armstrong und Joseph Griffin erzielten die weiteren Treffer für das Team aus Toronto.

Es war die vierte Goldmedaille im vierten Finale um den WM-Titel für Kanada, währen die Silbermedaille für Deutschland die höchste Klassierung der Geschichte war, die nur einmal im Jahre 1953 wiederholt werden konnte.

Paul Loicq, der IIHF-Präsident jener Zeit, war in den beiden Finalspielen in Berlin Schiedsrichter bevor der Belgier in seine Präsidentenrolle überging für die Medaillenzeremonie im Kasinosaal des Sportpalastes.

Es war definitiv eine andere Ära des Eishockeys im Vergleich zur minutiös geplanten Weltmeisterschaft von heute. Und es war einer der letzten IIHF-Events auf Natureis.

 

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